BaFin-Merkblatt: Vorsicht vor einseitiger Produktbewertung! Martin Klein im Magazin Versicherungswirtschaft

BaFin-Merkblatt: Vorsicht vor einseitiger Produktbewertung! Martin Klein im Magazin Versicherungswirtschaft

 Nun herrscht also Klarheit. Nach monatelangem Tauziehen zwischen BaFin, Bundesfinanzministerium und diversen Interessengruppen hat die BaFin vor wenigen Wochen ihre Vorstellungen zu ‚wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten‘ als Entwurf veröffentlicht. Doch was heißt das nun konkret für den Vertrieb? Was sind die Hauptkritikpunkte aus der Branche? Und was ist eigentlich aus dem ominösen ‚Provisionsrichtwert‘ geworden? Zeit für eine Einordnung.

Vom Rundschreiben zum Merkblatt

Im Frühjahr hat die Aufsicht die Finanzdienstleistungsbranche irritiert. Nachdem durch gute Argumente aus der Branche und einer klaren Position der FDP der Koalitionsvertrag keine Vorhaben zur gesetzlichen Provisionsregulierung in der Lebensversicherung vorsah, preschte BaFin-Exekutivdirektor Dr. Frank Grund nach vorne und kündigte Anfang Mai die Veröffentlichung eines verbindlichen Rundschreibens zu einem ‚Provisionsrichtwert‘ an, welcher als Leitlinie für die aufsichtsrechtliche Handhabe in der Praxis gelten sollte. Ein ähnliches Wort dafür: Provisionsdeckel.

Hierbei handelte es sich um eine klare Kompetenzüberschreitung der Aufsicht, da dieser Markteingriff jeglicher Gesetzesgrundlage widersprach. Nur weil man dem Kind mit dem Begriff ‚Richtwert‘ einen neuen Namen gibt, bedeutet dies nicht, dass sich die Zuständigkeiten von Gesetzgeber und Aufsicht ändern.

Nach zähem Ringen hinter den Kulissen hat dies auch die BaFin erkannt und aus dem angekündigten Rundschreiben zu einem ‚Provisionsrichtwert‘ wurde nun das Wohlverhaltens-Merkblatt, welches jetzt Branchenakteuren wie VOTUM zur Konsultation vorliegt. Doch was ist der Kern dieses Entwurfs?

Der Inhalt des BaFin-Merkblatts

Das Merkblatt wendet sich alle an Produktgestalter von kapitalbildenden Lebensversicherungen, die in Deutschland ihre Produkte anbieten wollen. Methodisch setzt die BaFin dabei beim Produktfreigabeverfahren an. Die BaFin möchte den Lebensversicherungsunternehmen mit dem Merkblatt konkrete Vorgaben machen, unter welchen Voraussetzungen diese mit ihren Produkten zum Kundennutzen beitragen oder aber ihm nicht gerecht werden und darüber hinaus mit ihrer Vergütungsstruktur vermeintliche Fehlanreize setzen. Das klingt genauso gut wie banal, der Teufel steckt jedoch wie so oft im Detail.

Die BaFin blendet viele Rahmenbedingungen der Produktgestaltung aus und fokussiert sich bei ihrer Bewertung der Produkte nahezu ausschließlich auf die Kosten. Hierbei benennt die Aufsicht die ‚Effektivkosten‘ und widmet sich dabei erwartungsgemäß im Wesentlichen den Abschlussprovisionen.

Kundennutzen hätten nach Ansicht der BaFin dabei nur Produkte, die eine positive Rendite unter Berücksichtigung der Effektivkosten und einer erwarteten Inflation von 2 Prozent erwirtschaften. Nach den Markterhebungen der Aufsicht liegen die Effektivkosten von 75 Prozent der meistverkauften Lebensversicherungen unter 2,35 Prozent. Diesen Wert erachtet die BaFin bei der Annahme von durchschnittlich 5 Prozent Rendite vor Kosten offenbar als noch vertretbar. Anders gesagt: Alle Produkte, die einen Effektivkostenwert von über 2,35 Prozent haben, sollten nach Ansicht der Aufsicht gute Gründe dafür haben, warum sie teurer sind als 75 Prozent der vergleichbaren Produkte der Konkurrenz.

Zudem fordert die BaFin, dass sich dieser ‚Kundennutzen‘ auch dann einstellt, wenn der Versicherungsnehmer deutlich vor Laufzeitende seine Lebensversicherung kündigt. Aus diesem Grund sollen die Abschlusskosten stärker über die Laufzeit verteilt werden.

Das sind die Kernforderungen der BaFin. Das Merkblatt legt den Hauptaufsichtsfokus damit nahezu ausschließlich auf die Kostenseite von fondsgebundenen Lebensversicherungen – vernachlässigt dabei aber wichtige Rahmenbedingungen und Faktoren und geht von einer Vertriebspraxis aus, die weit an der Realität vorbeigeht.

Die Hauptkritikpunkte

Die Stellungnahme von VOTUM zur BaFin-Konsultation wird so ausführlich sein wie die Magazinausgabe, die Sie gerade in den Händen halten. Deshalb können an dieser Stelle die Hauptkritikpunkte nur kurz skizziert werden:

Komplexe Produkte senken den Kundennutzen

Die BaFin stellt mit ihrem Merkblatt die folgende Annahme in den Raum: Komplexe Produkte mit höheren Kosten senken den Kundennutzen. Die Aufsicht vermittelt damit den Eindruck, als ob die Versicherungsunternehmen im Rahmen der Produktherstellung lediglich die Kosten ihrer Produkte beeinflussen können, nicht jedoch deren Renditechancen. Das stimmt nicht. Versicherungsunternehmen sind durchaus in der Lage, die Renditechancen eines Produktes so positiv zu gestalten, dass sie auch mit einem erhöhten Kostenaufwand eine für den Kunden deutlich positivere Rendite – und damit einen höheren Kundennutzen – erwirtschaften können als ein Low-Cost Produkt. Ein Ansatz, der lediglich über die Kostenbewertung kommt, führt langfristig dazu, dass wir bei den Versicherungen zukünftig nur noch kaum unterscheidbare ETF-Mäntel vorfinden, jedoch keine wirkliche Produktinnovation.

Dass jedoch komplexere und damit auch risikoreiche Produkte bessere Ergebnisse erzielen bestätigen sogar Studien der europäische Aufsichtsbehörde EIOPA. Die Ergebnisse des im April veröffentlichten ‚cost and past performance report‘ zeigen eindeutig, dass insbesondere die fondsgebundenen Policen die aus dem BaFin Merkblatt ersichtliche Erwartungshaltung, dass kapitalbildende Versicherungen eine Nettorendite oberhalb einer angenommenen Inflation von 2 Prozent erzielen müssen, in der Vergangenheit verlässlich erreicht haben.

‚Höhere Risikoklassen entsprechen höheren Nettorenditen für fondsgebundene und hybride Produkte‘, so die EIOPA im übersetzten O-Ton. Auch das Preis-Leistungsverhältnis von fondsgebundenen Produkten wurde von der europäischen Aufsicht positiv beurteilt: ‚Bei risikoreichen Produkten erwiesen sich fondsgebundene Produkte als rentabler als hybride Produkte und boten daher bessere Ergebnisse für die Verbraucher‘.

Höhere Stornoquoten bedeuten immer schlechte Beratung oder falsche Anreize

Auch bei der Heranziehung von Stornoquoten als Messinstrument für die Vermittlungsqualität muss die BaFin einen differenzierteren Ansatz wählen. Die Aufsicht selbst bemerkt im Merkblatt zurecht, ‚dass es bei langen Laufzeiten dazu kommen kann, dass sich Lebensumstände oder Interessen der Versicherungsnehmer während der Laufzeit in einer bei Vertragsschluss noch nicht vorgehersehenen Weise ändern.‘ Diese Erkenntnis gilt es jedoch auch in das aufsichtsrechtliche Handeln zu überführen. Eine solche Änderung der Lebensumstände, die auch für den Berater bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar war, kann nicht als geeignete Größe für die Messung seiner Beratungsqualität herangezogen werden. Einzelereignisse wie Jobverlust oder Scheidung sind auch durch eine noch so gute Beratung nicht auszuschließen. Das Gleiche gilt für Massenentlassungen bei Betriebsschließungen oder vermehrte Beitragsfreistellungen in Wirtschaftskrisen. Ergo: Nicht jedes Vertragsstorno kann als Beleg für eine eingeschränkte Beratungsqualität herangezogen werden kann.

Produkte laufen nur gut, wenn aggressiv verkauft wird

Ein hohes Neugeschäft eines einzelnen Lebensversicherungsprodukts ist nach Ansicht der BaFin ein klares Indiz für eine ‚aggressive Verkaufspraxis‘. Die in einer Marktwirtschaft durchaus realistische Möglichkeit, dass einfach ein hervorragendes Produkt an den Markt gebracht wurde, welches den Kundennutzen bestmöglich bedient, und deshalb zum ‚Verkaufsschlager‘ wird, kommt der BaFin bei dieser Auslegung allem Anschein nach nicht in den Sinn.

Gerade in Zeiten in denen durch Regulierungseingriffe wie etwa die Berücksichtigung von ESG-Kriterien Produktinnovationen gefordert werden, kann gerade ein überzeugendes Produkt auch zu hohen Verkaufszahlen führen, ohne den Verdacht des Miss-Sellings zu begründen.

Unterschiedliche Prüfverfahren für unterschiedliche Vertriebskanäle

Das Merkblatt erweckt zudem den Eindruck, dass die BaFin den Mehrkanalvertrieb übermäßig problematisiert. Die Aufsicht plant Versicherungsunternehmen, welche ihre Produkte über einen Mehrkanalvertriebsweg platzieren, mit tiefgreifenderen Produktprüfungs- und Freigaberegularien zu belegen als Unternehmen, die sich beispielsweise lediglich auf den Ausschließlichkeitsvertrieb stützen. Hierbei wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass gerade ein Mehrkanalvertrieb – ganz im Sinne des Kundennutzens – hervorragend dazu geeignet ist, die durchschnittlichen Vertriebskosten zu stabilisieren, während bei einem Monokanal-Vertrieb lediglich über eine Ausschließlichkeitsorganisation auf Grund der Vorhaltekosten für diesen Vertriebsweg die Effektivkosten pro Versicherungsvertrag dann stark steigen, wenn der Platzierungserfolg ausbleibt.

Rendite ist nicht alles

Beim Kundennutzen wird zu sehr auf die potenzielle Renditeerwartung abgestellt. Die Tatsache, dass durch den Versicherer eine lebenslange Rentenzahlung zugesichert wird, geriet hierbei in Vergessenheit.

Fazit

Es ist vollkommen klar, dass die Kosten und der Kundennutzen einer Lebensversicherung in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Auch ist begrüßenswert, dass die BaFin vor allem die Produkte ins aufsichtsrechtliche Auge nehmen möchte, die über eine marktübliche Kostenquote hinausgehen. Das ‚wie‘ ist dabei jedoch entscheidend. Bei dieser Überprüfung muss das Produkt als Ganzes betrachtet werden – und das eingebettet in eine Vielzahl von Rahmenbedingungen, die es zu berücksichtigen gilt. Der nun vorliegende Entwurf des BaFin-Merkblatts wird diesem Anspruch nach Ansicht des VOTUM Verbands nicht gerecht. Deshalb werden wir uns – genau wie bei der Debatte um Verbote, Deckel oder Richtwerte – im politischen Entscheidungsfindungsprozess dafür einsetzen, dass ein Kompromiss zwischen dem theoriegeprägten Ansatz der Aufsicht und der Vertriebspraxis gefunden wird.

Kontakt und Presseanfragen jederzeit an:

Filip Schlosser
Leiter Hauptgeschäftsstelle
Friedrichstraße 149
10117 BerlinE-Mail: schlosser@votum-verband.de
Tel.: + 49 (0) 30 – 28 88 07 18


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