„Die Leistung des Versicherungsvermittlers wird von der Politik maßlos unterschätzt“
„Die Leistung des Versicherungsvermittlers wird von der Politik maßlos unterschätzt“
In den Altersvorsorgeplänen von CDU/CSU sieht VOTUM-Vorstand Martin Klein mehrere grobe Schnitzer. Was man anders machen sollte und worauf sich aufbauen lässt, erklärt der Chef des Vermittlerverbands im Interview.
Procontra: Sie haben sich mit deutlichen Worten gegen das Wahlprogramm der Union gestellt. Hat Sie dessen Inhalt überrascht?
Martin Klein: Jein. Der CDU-Bundesfachausschuss Soziale Sicherung und Arbeitswelt hat schon im Herbst 2020 einen Beschluss zur Rentenpolitik gefasst, in dem das Wort „Standardvorsorgeprodukt“ gefallen ist. Dies war jedoch erst für den Fall vorgesehen, wenn das Reformieren von Riester scheitern würde. Zudem gab es hierzu 2019 bereits ein ähnlichen CDU-Parteitagsbeschluss.
Dennoch wurde in unseren vielen Gesprächen mit Unionsabgeordneten immer wieder betont, dass man erst einmal Riester reformieren wollen würde. Man darf nicht vergessen: Riester ist mit 16 Millionen Abschlüssen das erfolgreichste private Altersvorsorgeprodukt in ganz Europa. Diesen Erfolg jetzt einfach aufgrund von jahrelangem Nichtstun seitens der Politik aufs Spiel zu setzen, ist ein absolutes No-Go!
Auch bei der „Generationenrente“ handelt es sich eigentlich um nicht viel mehr als eine zweckgebundene Aufstockung des Kindergelds. Ein im Jahr 2021 reformbedürftiges Rentensystem mit einem Vorhaben reformieren zu wollen, bei dem die ersten Renten frühestens im Jahr 2090 ausgezahlt werden sollen, erschließt sich mir nicht.
Procontra: Bei der privaten Altersvorsorge setzt die CDU auf ein verpflichtendes Standardprodukt, das ohne Abschlusskosten auskommen soll. In ihren Augen stellt das den Traum einer eierlegenden Wollmilchsau dar – was genau stört Sie?
Martin Klein: Ein obligatorisches Standardprodukt kann nicht die Lösung für die höchst unterschiedlichen Erwerbsbiografien von 45 Millionen Erwerbstätigen sein. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sich Arbeitnehmer in der vermeintlichen Sicherheit wiegen, durch die Einbeziehung eines Standardprodukts ausreichend für das Alter vorgesorgt zu haben, ohne ihre tatsächliche Vorsorgelücke wirklich zu kennen.
Gerade die Leistung des qualifizierten Versicherungsvermittlers bei der Ermittlung der Vorsorgelücke unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des einzelnen Verbrauchers wird von der Politik maßlos unterschätzt.
Es bedarf diesen Berater auch auf Seiten des Bürgers, um ihn gegebenenfalls zu dem schmerzhaften Schritt des Konsumverzichts in seiner aktuellen Lebenssituation zu Gunsten der Absicherung im Alter zu überzeugen. Diese Überzeugungsarbeit kann kein Robo-Advisor leisten und man kann diese Aufgabe auch nicht den Arbeitgebern zuweisen. Dies haben die Erfahrungen in der betrieblichen Altersvorsorge gezeigt.
Zudem ist nur der qualifizierte Berater in der Lage, dem Verbraucher aufzuzeigen, welche Auswirkungen die Wahl eines entsprechenden Garantieniveaus hat und ihm bei der passenden Auswahl fachkundig zur Seite zu stehen.
Die Politik begibt sich mit dem Standardprodukt in Widerspruch zu ihren eigenen Projekten. Die Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage ist eines der übergreifenden Themen für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. EU-Richtlinien geben klar vor, dass Kunden zukünftig bei jeder langfristigen Kapitalanlageentscheidung zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragt und beraten werden sollen. Obwohl die EU-Richtlinien bereits heute 15 bis 20 unterschiedliche Nachhaltigkeitsziele kennen, meint die Union, dies mit einem Standardprodukt lösen zu können – Finde den Fehler!
Procontra: In der betrieblichen Altersversorgung scheint die CDU hingegen von einer obligatorischen Lösung abgerückt zu sein – ein Schritt in die richtige Richtung?
Martin Klein: Ein wirkliches Abrücken vom Obligatorium ist auch hier leider nicht erfolgt. Die Union kündigt in ihrem Wahlprogramm an, das Konzept einer „Betrieblichen Altersvorsorge für Alle“ entwickeln zu wollen. Hier verstecken sich weiterhin die Pläne eines angestrebten Obligatoriums – insbesondere für Geringverdiener.
Procontra: Sind die Entscheidungen der CDU, die sich ja eher Versicherer-kritisch lesen, womöglich auch eine Reaktion auf das schlechte Image der Versicherungswirtschaft, beflügelt durch den Komplex Betriebsschließungsversicherungen?
Martin Klein: Das Programm von CDU und CSU ist vielmehr vermittler- als versicherungskritisch, denn das geplante Standardprodukt soll ja von den Versicherern gestellt werden – jedoch ohne die erforderliche Beratung.
Die Fragestellung rund um das Thema Betriebsschließungsversicherung und Corona hat keine Ausstrahlung auf die Ausgestaltung der private Altersvorsorge. In diesem Bereich wird alles von der Niedrigzinsphase und der dadurch bedingten Kostendiskussion dominiert. Reformvorschläge ohne die Berücksichtigung der notwendigen Beratungskosten führen jedoch in eine Sackgasse.
Gerade während der Pandemie hatten die VOTUM-Vermittlungsunternehmen einen erheblichen Anstieg in den Beratungsgesprächen. Das zeigt: Der Bedarf nach guter Beratung ist da! Und die gestiegenen Umsatzzahlen zeigen: Das Vertrauen in die Vermittler auch.
Procontra: Die Themen Finanzberatung, Provisionsdeckel oder BaFin-Aufsicht finden im Parteiprogramm keine Erwähnung. Werten Sie das eher als gutes oder schlechtes Zeichen?
Martin Klein: Weder noch. Die von Ihnen angesprochenen Themen kamen zum großen Teil nicht aus dem Lager der Union. Die BaFin-Aufsicht war eine Herzensangelegenheit der SPD. Gleiches gilt für den Provisionsdeckel. Wir gehen davon aus, dass diese Themen nach der Bundestagswahl im September so oder so in unterschiedlicher Gewichtung in möglichen Koalitionsverhandlungen wieder aufkommen werden. Dies bestätigen auch die von uns geführten Gespräche mit der SPD und den Grünen.
Procontra: Gibt es auch branchenrelevante Punkte im Programm, die Sie unterstützen?
Martin Klein: Die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige steht bei allen relevanten Parteien erneut im Wahlprogramm. Die Union sieht – wie auch die FDP – hier weiterhin eine Wahlfreiheit zwischen der Einzahlung in die gesetzliche Rente und einer privaten Vorsorge vor. Dies ist aus unserer Sicht ausdrücklich zu begrüßen.
Die Wahlprogramme der Parteien zeigen, dass die Pläne für eine geförderte private Altersvorsorge höchst unterschiedlich sind. Allen Parteien muss jedoch klar sein, dass wir im Jahr 2022 weiterhin ein bestehendes Angebot für die Bürger benötigen und diese nicht darauf warten können, dass sich eine neue Koalition nach langen Verhandlungen verständigt. Ein unmittelbarer erster Schritt muss daher darin bestehen, dass in einem gesetzgeberischen Schritt, der ohne großen Aufwand umzusetzen ist, die Garantie bei Riester abgesenkt wird. Nur so wäre gesichert, dass in der Reformphase den Bürgern weiterhin ein gefördertes Altersvorsorgesparen möglich ist. Der Ausstieg vieler Anbieter aus dem Riester Produkt ist eine klare Handlungsaufforderung an die Politik.
Rechtsanwalt Martin Klein ist geschäftsführender Vorstand des Branchenverbands VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V. An die VOTUM-Mitgliedsunternehmen sind 100.000 unabhängige Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler angebunden. Die Mitarbeiter und Kooperationspartner unserer Mitglieder beraten über 11 Millionen Verbraucher zu Fragen der Absicherung im Alter, der Vermögensbildung und des maßgeschneiderten Versicherungsschutzes.
Das Interview erschien am 25. Juni 2021 bei procontra: https://www.procontra-online.de/artikel/date/2021/06/die-leistung-des-versicherungsvermittlers-wird-von-der-politik-masslos-unterschaetzt/
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