Quo vadis, Altersvorsorge? Eine Bestandsaufnahme der Pläne der Ampel-Regierung
Quo vadis, Altersvorsorge? Eine Bestandsaufnahme der Pläne der Ampel-Regierung
Die Organigramme der Ministerien sind finalisiert, Abgeordnetenbüros wurden bezogen und Bundestagsausweise ausgestellt – kurzum: Die Arbeit der neuen Ampel-Regierung nimmt Fahrt auf. Höchste Zeit, eine Bestandsaufnahme und einen Ausblick im Bereich der Altersvorsorge sowie der dazugehörigen Reformpläne der neuen Bundesregierung zu werfen.
Um den Leserinnen und Lesern des FOCUS MONEY Versicherungsprofis Rechnung zu tragen, ist dieser Gastbeitrag voll und ganz auf die Lebenswirklichkeit von Versicherungs- und Finanzanlagevermittlern ausgerichtet – und der Übersicht halber nach den bekannten Schichten der Altersvorsorge in Deutschland aufgegliedert.
1. Gesetzliche Altersvorsorge
Die harten Fakten aus dem Koalitionsvertrag sind schnell beschrieben: Die Festlegung des gesetzlichen Rentenniveaus auf mindestens 48 Prozent und die Beibehaltung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 67 Jahren.
Die von der FDP im Wahlkampf geforderte Aktienrente in großem Stil wird es so erst einmal nicht geben. Die Ampel hat sich immerhin darauf verständigt, in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einzusteigen. Die Deutsche Rentenversicherung soll in einem ersten Schritt im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock aus 10 Milliarden Euro erhalten. Die teilweise Kapitaldeckung solle als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet und angelegt werden. Wie genau diese Stelle aussehen und in welche Produkte investiert werden soll, steht aktuell noch nicht fest.
Kommen wir zu einem Punkt, bei dem es für Sie als Vermittlerin oder Vermittler spannend wird: Die Altersvorsorgepflicht für neue Selbstständige „mit Wahlfreiheit“. Durch unsere tägliche Arbeit in der politischen Interessenvertretung in Berlin und Brüssel wissen wir ob der Prioritätenliste der neuen Bundesregierung. Das Thema Altersvorsorgepflicht für Selbstständige steht weit oben auf dieser Liste.
Aktuell wird im federführend zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales daran gearbeitet, was unter „neue Selbstständige“ im Sinne des Koalitionsvertrags zu verstehen ist und wie die angesprochene „Wahlfreiheit“ – also die damit gemeinte Opt-Out-Möglichkeit – ausgestaltet werden soll. Zwei entscheidende Punkte, die sicherlich noch viel Diskussionsstoff liefern werden. Denn eines ist jetzt schon klar: Je einfacher die Abwahl der Einzahlungspflicht in die gesetzliche Rente gestaltet wird, desto besser können durch gute Beratung passendere, private Produkte vermittelt werden.
2. Betriebliche Altersvorsorge
In Bezug auf die bAV sind die Pläne der neuen Bundesregierung recht vage gehalten – sicherlich auch aufgrund der Tatsache, dass man sich in Berlin durchaus bewusst ist, vor welchen Mammutprojekten man in der ersten und dritten Schicht steht.
Die betriebliche Altersversorgung soll gestärkt werden, „unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen“. Gleichzeitig soll der Druck auf die Unternehmen erhöht werden, dass mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits in der vorletzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell umzusetzen. Hierbei wird jedoch übersehen, dass die Umsetzung häufig an der Mitwirkung des Tarifpartners – den Gewerkschaften – scheitert.
3. Geförderte private Altersvorsorge
Bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge kündigt die neue Bundesregierung eine grundlegende Reform an – das ist gut, denn durch das Unterlassen einer Reform der Riester-Rente in der vergangenen Legislaturperiode werden sich die 310.000 im letzten Jahr vermittelten Riester-Verträge garantiert nicht wiederholen.
„Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen“, steht zu diesem Vorhaben im Koalitionsvertrag. Darüber hinaus sollen auch private Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester geprüft werden, wobei für laufende Verträge Bestandsschutz gelten soll. Auch eine Förderung soll es weiterhin geben, um unteren Einkommensgruppen Anreize zu bieten, Produkte in Anspruch zu nehmen.
Geplant sind also Prüfaufträge über Prüfaufträge – eine in der Berliner Politik seit Jahren bewährte Methode, um bei Meinungsverschiedenheiten nicht den Koalitionsfrieden zu gefährden und sich auf einen Minimalkonsens zu einigen. Dabei wird eines jedoch leider außer Acht gelassen: Wir haben alles, außer Zeit. Riester wird aufgrund der Absenkung des Höchstrechnungszins und Garantiezwang kaum noch vermittelt, und die rosige Alternative von Produkten „mit höherer Rendite“ werden wir frühestens in der zweiten Hälfte der aktuellen Legislaturperiode zu Gesicht bekommen.
Das heißt für Sie als Vermittlerin oder Vermittler: Suchen Sie passende Alternativen für die geförderte private Altersvorsorge! Und die gibt es: Rürup mit Zusatzdeckung und bAV sind nur zwei Beispiele. Langfristig kann auch für risikobereitere Kunden die Fondspolice auch ohne staatliche Förderung eine attraktive Alternative sein.
Debatte um Vertriebsvergütung
Bleibt noch das ewig über unserer Branche hängende Damoklesschwert: Die Debatte um die Vertriebsvergütung. Positiv ist: Die Maximalforderungen von Grünen (Provisionsverbot) und SPD (Provisionsdeckel) konnten sich nicht durchsetzen. Zudem ist die Debatte zu diesem Thema aufgrund von „größeren Baustellen“ in Deutschland etwas in den Hintergrund gerückt.
Von Entwarnung kann jedoch leider nicht gesprochen werden. Sowohl die BaFin als auch die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA haben bereits signalisiert, dass einer der Schwerpunkte ihrer Aufsichtstätigkeiten ganz klar auf der Vertriebsvergütung liegen wird. Zudem kursieren bereits diverse Konsultationspapiere und Rundschreiben, die bereits tiefe Einblicke in die voreingenommene Einstellung der Aufsichtsbehörden in Bezug auf die Dualität und Freiheit der Vergütungsgestaltung gewähren.
Fazit
Der Artikel zeigt deutlich: Bisher haben viele der ehrgeizigen Altersvorsorge-Reformprojekte der Ampel-Regierung noch eher den Status „Absichtserklärung“. Konkrete Pläne lassen noch an einigen Stellen auf sich warten.
Konkret wird es demnächst bei GRV und bei der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige, die bAV wird ohne große Reformen weiterlaufen und auf ein Riester-Ersatzprodukt werden wir noch einige Zeit warten müssen – parallel wird uns auch die Provisionsdebatte insbesondere auf der europäischen und nationalen Aufsichtsebene weiterhin begleiten.
Eines steht also fest: Für den VOTUM Verband als politische Interessenvertretung des Versicherungs- und Finanzvertriebs in Berlin und Brüssel bleibt genug zu tun.
Martin Klein ist Geschäftsführender Vorstand des Branchenverbands VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen in Europa e.V. An die VOTUM-Mitgliedsunternehmen sind 100.000 unabhängige Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler angebunden. Die Mitarbeiter und Kooperationspartner unserer Mitglieder beraten über 11 Millionen Verbraucher zu Fragen der Absicherung im Alter, der Vermögensbildung und des maßgeschneiderten Versicherungsschutzes.
Kontakt und Presseanfragen jederzeit an:
Filip Schlosser
Leiter Hauptgeschäftsstelle
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