Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 (V): 8 Fragen an die FDP
Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 (V): 8 Fragen an die FDP
Wie steht die FDP zur Zukunft der privaten Altersvorsorge, zur Dualität in der Vertriebsvergütung, Provisionsdeckel und weiteren regulatorischen Maßnahmen? VOTUM hat nachgefragt - und Antworten bekommen!
1. Die Coronavirus-Pandemie hat wie ein Brennglas Schwachstellen und Missstände der Leistungsfähigkeit des deutschen Staates aufgedeckt. Wie steht Ihre Partei zu der Position, dass die nächste Legislaturperiode zur staatlichen Modernisierung und Neuaufstellung genutzt werden sollte?
FDP: Die Coronavirus-Pandemie hat uns eines gezeigt: wie es ist, darf es nicht bleiben. Während andere Staaten ihre Verwaltung digitalisiert haben, haben wir an Formularen und Zettelwirtschaft festgehalten. Während andere Staaten ihr Gesundheitssystem digitalisiert haben, haben sich unsere Gesundheitsämter gegenseitig Faxe geschickt. Hochqualifizierte Beamtinnen und Beamte haben Listen abgetippt, statt mit Hilfe moderner digitaler Technologien effektiv Infektionsketten nachzuverfolgen. Während andere Staaten per SMS zu Impfungen einladen, haben wir Impftermine per Brief vergeben.
Wir Freie Demokraten wollen durch eine umfassende Föderalismus- und Verwaltungsreform einen modernen und handlungsfähigen Staat schaffen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass unklare Zuständigkeiten, eine erdrückende Bürokratie und digitale Defizite bei den Behörden schnelle und pragmatische Lösungen verhindern. Es geht nicht nur um die Digitalisierung von Prozessen, sondern vor allem um einen Mentalitätswandel. Um das Megaprojekt der Verwaltungsmodernisierung zu bewältigen, setzen wir auf eine agile Herangehensweise, die arbeitsfähige Ergebnisse vor starren Strategien priorisiert. Um Anreize für die digitale Transformation von Prozessen und Arbeitsweisen zu schaffen, sollen durch die Digitalisierung erreichte Einsparungen („Digitale Dividende“) für Investitionen in der jeweiligen öffentlichen Stelle verbleiben. Auch in Bildungs- und Sicherheitsfragen sind 16 verschiedene Systeme nicht mehr zeitgemäß. Wir wollen deshalb die Kompetenzverteilung zwischen den staatlichen Ebenen neu regeln, die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben und das öffentliche Dienstrecht flexibilisieren. Der Staat soll sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und die Stärke des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs nutzen.
2. Welchen Stellenwert misst Ihre Partei der Tätigkeit der unabhängigen Versicherungs- und Kapitalanlagevermittler bei?
FDP: Die Versicherungs- und Kapitalanlagevermittler in Deutschland leisten einen wichtigen Beitrag für den Aufbau einer auskömmlichen Altersvorsorge sowie für den Vermögensaufbau der Bürgerinnen und Bürger insgesamt. Dies gilt auch und gerade für die unabhängigen Berater und Vermittler. In einer Zeit eines anhaltenden Niedrigzinsumfeldes, in der sich viele Bürgerinnen und Bürger ohnehin um ihr Erspartes Sorgen machen, leisten die Versicherungs- und Kapitalanlagevermittler fachkundige Aufklärungsarbeit bei der Kapitalanlage.
Wir Freie Demokraten unterstützen die Arbeit der Versicherungs- und Kapitalanlagevermittler. Daher haben wir die von der Bundesregierung beziehungsweise von den Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD in der 19. Wahlperiode angestrebte Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) (Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BT-Drs. 19/18794) abgelehnt.
Die Mehrkosten durch die Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht würden zu einem Rückgang der Anzahl der Berater und höheren Kosten für die Kundinnen und Kunden führen. Wir setzen uns für eine dezentral in den Ländern organisierte, ortsnah erreichbare und kostengünstige Aufsicht ein (vgl. Qualifizierte Finanzberatung ortsnah und kostengünstig erhalten, BT-Drs. 19/18861).
3. In welche Richtung wünschen Sie sich eine Weiterentwicklung der Branche im Laufe der 20. Legislaturperiode und darüber hinaus – für welche konkreten Themen macht sich Ihre Partei im Bereich der Finanzmarktregulierung stark?
FDP: Wir Freie Demokraten wollen eine smarte Bankenregulierung einführen. Finanzinstituten, die freiwillig mehr Eigenkapital beziehungsweise Einlagen vorhalten, wollen wir mehr Spielraum bei der Regulierung einräumen, zum Beispiel durch längere Prüfungszeiträume. Die Bankenregulierung ist in den vergangenen Jahren verschärft worden. Das ist im Grundsatz richtig, trifft aber kleine und mittlere Institute unverhältnismäßig hart, von denen jedoch weniger Risiken ausgehen als von großen Kreditinstituten. Deshalb wollen wir eine passgenaue Regulierung.
Ferner sollte geprüft werden, welche unter dem Eindruck der Corona-Pandemie aufsichtlich erlassenen Regulierungserleichterungen sich zur Bürokratieentlastung der Finanzinstitute besonders gewährt haben.
4. Setzen Sie auf eine 1:1-Umsetzung von europäischen Richtlinien im Bereich der Finanzmarktregulierung? Oder würden auch – notfalls mittels eines nationalen Alleingangs – erweiterte Anforderungen für den deutschen Markt entwickeln?
FDP: Wir Freie Demokraten fordern, dass europäische Richtlinien sinnvoll und ohne zusätzliche Bürokratie in nationales Recht umgesetzt werden (1:1-Umsetzung). So wollen wir Hemmnisse abbauen und für einen gut funktionierenden Binnenmarkt sorgen. Ebenso sollte auf europäischer Ebene keine Regelung beschlossen werden, die von einem Mittelständler nicht umgesetzt werden kann (KMU-Test). Für jede neue Bürokratie-Euro-Belastung sollen zudem zwei Bürokratie-Euro-Belastungen wegfallen („one in, two out“).
5. Wie positionieren Sie sich zu Vertriebsvergütung? Sollen Beratung und Vermittlung künftig zwingend auf Basis eines Honorars vergütet werden, oder streben Sie eine Beibehaltung des Nebeneinanders der beiden Vergütungswege Honorar/Provision an? Stellt ein gemischtes Modell für Sie eine Option dar?
FDP: Wir Freie Demokraten setzen auf Vertragsfreiheit anstatt auf Verbote. Die provisionsgestützte Beratung ist in Deutschland weiterhin weit verbreitet und wird von den Verbraucherinnen und Verbrauchern nachgefragt. Diese sollten frei entscheiden können, ob sie eine provisionsgestützte Finanzberatung oder eine Honorar-Beratung wünschen.
6. Wollen Sie die Investitionen in nach ESG-Kriterien als nachhaltig einzuordnende Finanzprodukte zusätzlich politisch fördern? Wenn ja, welche Anreize sind beabsichtigt?
FDP: Wir Freie Demokraten bekennen uns zu den 17 Nachhaltigkeitszielen („Sustainable Development Goals“ – SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen. Nach unserer Überzeugung ist der beste Klima- und Umweltschutz die Investitionen in Innovation und nachhaltige Produkte. Im Finanzierungsbereich wollen wir den Banken hierfür ihren geschäftspolitischen Entscheidungsspielraum belassen, damit diese die für sie passenden Projekte fördern können.
Wir Freie Demokraten wollen die von der EU festgelegten einheitlichen Kriterien für Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft, die Taxonomie, zu einem rein freiwilligen, dynamischen Ansatz von Nachhaltigkeit weiterentwickeln. So sorgen wir für mehr Tempo bei Innovationen. Anleger sollen gemäß ihren Vorstellungen in nachhaltige Anlageformen investieren können. Dazu wollen wir die Anlagemöglichkeiten für Kapitalsammelstellen in Wagniskapital und Infrastruktur öffnen, um den Weg hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu finanzieren. Ob und wie weit jede Anlegerin und jeder Anleger die weiterentwickelten „Environmental, Social and Governance“-Faktoren bei der Kapitalanlage berücksichtigen will, muss jeder oder jedem selbst überlassen bleiben. Vor dem traditionell starken Mittelstand in unserem Land liegen herausfordernde Zeiten mit viel Investitionsbedarf. Die Finanzinstitute spielen bei der Finanzierung dieser Modelle eine wichtige Rolle. In der Finanzaufsicht müssen langfristige Risiken konsequent berücksichtigt werden. Die Vergabe von Krediten darf aber nicht an eine politische Einteilung von Geschäftsfeldern gekoppelt werden. Die bürokratische und umstrittene Taxonomie der EU-Kommission, die den Status quo zementiert und in einem Streit über einen technokratischen Ansatz versinkt, lehnen wir in dieser Form ab. Sie würde zu einer weitreichenden, granularen industriepolitischen Steuerung führen, die einer marktwirtschaftlichen Ordnung wesensfremd ist. Daher muss sie insbesondere mit Blick auf ihre Mittelstandstauglichkeit weiterentwickelt werden.
7. Die Altersvorsorge in Deutschland basiert bekanntermaßen auf den drei Säulen gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge. Wollen Sie dieses System beibehalten? Welche Reformen haben Sie für dieses System geplant? (Bitte nach Säulen aufgliedern)
FDP: Wir Freie Demokraten wollen die Altersvorsorge nach dem Baukastenprinzip organisieren. So können Bausteine aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge je nach Lebenslage flexibel kombiniert und an moderne Lebensläufe angepasst werden. Alle Ansprüche aus diesem „Rentenbaukasten“ sollen bei Wechseln zwischen Arbeitgebern oder zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit flexibel mitgenommen werden können.
Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung fordern wir die Einführung einer gesetzlichen Aktienrente. Wir wollen, dass neben dem größeren Betrag, der weiter in die umlagefinanzierte Rentenversicherung fließt, ein kleinerer Betrag von zum Beispiel zwei Prozent des Bruttoeinkommens in eine langfristige, chancenorientierte und kapitalgedeckte Altersvorsorge angelegt wird, die als Fonds unabhängig verwaltet wird (gesetzliche Aktienrente). Durch unser Modell erwerben zukünftig alle Beitragszahlerinnen sowie Beitragszahler – insbesondere auch Geringverdiener – echtes Eigentum für ihre Altersvorsorge und erhalten höhere Altersrenten.Daneben wollen wir die betriebliche Altersvorsorge stärken und die gesetzlichen Regelungen attraktiver machen. Die Möglichkeit zu breiteren Anlageformen und insbesondere höheren Aktienquoten haben nur tarifgebundene Unternehmen. Wir wollen allen Unternehmen die Möglichkeit einer „reinen Beitragszusage“ (höherer Aktienanteil) und des automatischen Einbezugs ganzer Belegschaften (mit „Opt-Out“-Möglichkeit für die einzelnen Beschäftigten) geben.
Zur Stärkung der privaten Alters- und auch Vermögensvorsorge wollen wir ein Altersvorsorge-Depot einführen. Ohne obligatorischen Versicherungsmantel vereinen wir so das Beste aus Riester-Rente (Zulagen-Förderung), Rürup-Rente (steuerliche Förderung) und dem amerikanischen Modell „401K“ (Flexibilität und Rendite-Chancen). Ansprüche aus der Altersversorgung müssen übertragbar (Portabilität) und ein Anbieterwechsel möglich sein. Dies stärkt den Wettbewerb und macht private Altersvorsorge für alle attraktiver.
8. Wie beurteilen Sie den gegenwärtigen Zustand des Verbraucherschutzes? Befinden sich die Standards auf einem ausreichend hohen Niveau, oder ist ein Ausbau notwendig? Falls Sie einen Ausbau für notwendig halten: In welchen Bereichen des finanziellen Verbraucherschutzes sehen Sie Handlungsbedarf?
FDP: Verbraucherschutz ist eine wirtschaftsbranchenübergreifende Aufgabe. Wir Freie Demokraten setzen uns für einen Verbraucherschutz ein, der den mündigen Verbraucherinnen und Verbrauchern Optionen und eine informierte sowie souveräne Entscheidung ermöglicht. Wir vertrauen auf die Selbstbestimmung der Verbraucher. Deshalb lehnen wir eine bevormundende Verbraucherpolitik ab, die zum Beispiel die Dauer bestimmter Verträge schematisch begrenzt.
Selbstbestimmung setzt aber eine freie und informierte Entscheidung voraus, die auch die Zwänge und Grenzen berücksichtigt, denen Verbraucher unterliegen. Dies wollen wir ermöglichen, indem wir uns insbesondere zur besseren Vergleichbarkeit bei Langzeitverträgen für die Ausweisung monatlicher Durchschnittspreise aussprechen. Darüber hinaus wollen wir die Durchsetzung kleiner Forderungen erleichtern, für die der Rechtsweg bislang zu teuer oder zu mühsam ist.